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Samstag, 21. Juni 2014

Alter Friedhof

Wir haben in einem Buch wieder mal einen Tipp entdeckt, wo man ein lauschiges Plätzchen finden kann. Es ist ca. 40 km von unserem Wohnort entfernt. Als am Abend das erste WM-Spiel begann und sich die Straßen leerten, machten wir uns auf zum "Alten Friedhof" in einer Nachbarstadt, der 1965 deaktiviert wurde und der seither vom Efeu und Farn erobert wird. Er liegt inmitten einer pulsierenden Stadt, umgeben von hohen Bruchsteinmauern, bewachsen von uralten und riesigen Bäumen. Der Vogelbestand ist enorm, die Ruhe hier ist betörend. Die Bienen summen friedlich umher, denn in der Mitte des Geländes gibt es einen Bienenstock. Eigentlich war ja am Eingang ein "Hunde verboten"-Schild, aber wir haben es geflissentlich übersehen, denn unsere Besitzer haben alle unsere Hinterlassenschaften beseitigt und uns nicht erlaubt, über die Gräber zu laufen. Wir waren ganz brav.

Dieser Friedhof ist einer der friedlichsten Orte, die wir je sahen. Einige alte Friedhöfe in Schottland und Norwegen kamen meinem Herrchen und Frauchen in Erinnerung, die eine ähnliche Atmosphäre hatten. Alte Friedhöfe sind Stätten des Friedens. Manch ein Mensch kann mit dem Thema "Friedhof" oder grundsätzlich mit dem untrennbaren Thema "Tod" nichts anfangen. Im Gegenteil - ängstlich wird alles, was damit zu tun hat, vermieden. Aber wir Tiere haben ein natürliches Verhältnnis dazu und Frauchen sagt immer, dass wir diesbezüglich viel schlauer sind als die Zweibeiner.

Hier an diesem Ort waren wir heute nicht zum letzten Mal. Unsere Eindrücke heute: Stille, Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach fallen, Summen der Insekten, Gezwitscher der Vögel, umgefallene und abgebrochene Grabsteine, Efeu allerorts, Efeu auf den Gräbern, auf den Steinen, auf den Wegen, an den Bäumen, an den Mauern, Farn überall, rostige Grabgitter, Grabgitter, die mit Bäumen verwachsenen waren, Inschriften, die unleserlich geworden sind, Inschriften, die unser Herz berührten, Inschriften, die Unverständnis hervorriefen, Familiengräber, beerdigte Kinder, Gruften mit Grabplatten, an denen es eiserne Ringe gab zum Anheben, Honoratioren der Gegend, die einmal Großes für die Wirtschaft oder Politik geleistet haben, Unbekannte, eine Familie, die den gleichen Familiennamen trug wie der Geburtsname der Großmutter meines Frauchens lautete, Gräber, wie es sie heute nicht mehr gibt...

Die meisten Leute hier waren noch vor dem 2. Weltkrieg verstorben. Nur 2 Gräber trugen Zeichen, dass noch jemand sich kümmert. Andere sind komplett zugewachsen oder Bäume, die einst darauf gepflanzt wurden, haben den Himmel gestürmt und haben Grabplatte und Stein angehoben und gestürzt. Gräber, die sozusagen aus allen Nähten geplatzt sind. Ein schöner Gedanke, dass vielleicht irgendwann einmal ein Baum aus mir heraus in dem Himmel wächst...

Rost vs. Natur